"Dat is Not gegen Elend!": Glanz vergangener Zeiten strahlt traurig übers Revierderby

Sogar Clemens Tönnies machte 2007 mit.
Die beiden Klubs, die heute im Topspiel der 2. Bundesliga aufeinandertreffen, haben schon bessere Zeiten gesehen. Doch obwohl die Gegenwart hart ist, können der FC Schalke 04 und der VfL Bochum auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurückblicken. Und gemeinsam hoffen sie auf eine bessere Zukunft.
"Ich finde es einfach schade, dass das Derby nur ein Zweitliga-Duell ist", hat Thomas Reis die Tage gesagt - und damit einen Nerv getroffen. Der ehemalige Trainer des VfL Bochum und des FC Schalke 04 wird das Spiel am heutigen Abend (20.30 Uhr/NITRO, im Liveticker bei ntv.de, im Stream bei RTL+) aus der fernen Türkei verfolgen und deshalb wohl kaum mitbekommen haben, dass die Erwartungshaltung bei den Fans in beiden Lagern auf einem echten Tiefpunkt angelangt ist, wie dieses kurze Gespräch an einer Tankstellenkasse in Wanne-Eickel zeigt: "Dat gibt ein elendes 0:0, oder so. Ker, dat is Not gegen Elend, sach ich dir. Fragt sich nur, wer wer is?" "Aber hingehen tust du trotzdem, oder?" "Ja, sia. Wat soll ich denn sonst machen?"
Die Stimmung ist so trostlos wie die Tatsache, dass es in dieser Saison erstmals seit Gründung der Bundesliga kein Nachbarschaftsduell auf Erstliganiveau im Revier geben wird. Und das im sogenannten "Land der 1000 Derbys". Was waren das für Zeiten, als man beispielsweise im Jahr 1997 im Ruhrgebiet gemeinsam die Erfolge feierte? Der BVB gewann die Champions League, Schalke den UEFA-Cup und Bochum zog erstmals in einen europäischen Wettbewerb ein. Damals sagte Franz Beckenbauer seinen berühmten Satz: "Das Herz des deutschen Fußballs schlägt im Ruhrgebiet."
Das Fachblatt "Reviersport" schrieb in diesen unvergesslichen Mai-Tagen in einer Mischung aus Verwunderung und Stolz: "Im Ruhrgebiet ist der Fußball mit seiner Geschichte und seinen Geschichten, mit seinen Stadien und mit den Menschen, die um die Geschicke der Klubs fiebern, ein Stück Kultur. Und deshalb vermag er auch das Lebensgefühl der Leute zu beeinflussen. Denn mit dem Verstand allein kann man sich dem Phänomen Fußball im Revier nicht nähern. Erklären kann man es ohnehin nicht. Er bleibt liebenswert paradox und überhaupt nicht berechenbar." Und genau diese "Unberechenbarkeit" schlägt aktuell im Ruhrgebiet so unbarmherzig zu wie noch nie in der Geschichte des deutschen Profifußballs.
"Richtig Träumer sind wir"Und so treten an diesem Samstagabend der FC Schalke 04 und der VfL Bochum erstmals in ihrer gemeinsamen Historie überhaupt in der zweiten Liga gegeneinander an. "Alle in Weiß zum Derby" sollen die Anhänger des VfL ("Herne-West aus der Turnhalle pöhlen"; "Richtige Träumer sind wir beim VfL", O-Ton-Stimmen aus Fanforen) nach Wunsch der Ultras in Gelsenkirchen auflaufen. Ein Anliegen, das bei älteren Fans beider Vereine Erinnerungen weckt. Denn am Abend des 27. April 2007 liefen die Schalker ebenfalls in weißen Shirts in Bochum auf. Das Motto hieß: "Nordkurve in deiner Stadt". Und der ganze Verein - bis hinauf zur Führungsspitze um Clemes Tönnies und Peter Peters - machte voller Stolz und Vorfreude mit.
Denn seit dem 20. Spieltag hatten die Königsblauen damals an der Tabellenspitze gestanden und nichts schien diese Mannschaft mehr aufhalten zu können. Und als Kevin Kuranyi dann auch noch mitten hinein in die optische Übermacht des S04 im Ruhrstadion in der achten Minute den Führungstreffer für die Schalker erzielte, war klar: Den VfL Bochum und seine Fans konnte an diesem Abend nur ein Wunder vor einem Debakel bewahren. Doch im Fußball kommt es manchmal anders, als man denkt. Die sportliche Katastrophe erlebte schließlich der FC Schalke 04. Mit 2:1 schickten die Bochumer die Gäste in ihren weißen Shirts nach Hause. Es war der Anfang vom Ende des großen Traums von der ersten deutschen Meisterschaft seit 1958.
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Aktuell sind die Schalker meilenweit davon entfernt, sich solch fernen Illusionen wie einem Meistertitel hingeben zu können. Genau wie der VfL Bochum haben sie nach zwei Spieltagen in der Liga drei Punkte auf ihrem Konto. Eigentlich ist bei beiden Vereinen also noch nicht allzu viel passiert - doch das Pokal-Wochenende liegt den Schalker wie den Bochumer Fans immer noch schwer im Magen. Beide Teams präsentierten sich trotz des Weiterkommens in keiner Verfassung, die irgendwelche Hoffnungen auf ein rasantes und unterhaltsames Spiel nähren könnte. Nur absolute Daueroptimisten sehen deshalb dem Spiel frohgemut entgegen.
"Wir brauchen nicht mehr heiraten"Doch trotz aller pessimistischen Sichtweisen auf einen spielerischen Leckerbissen fiebern beide Fanlager der Partie natürlich innerlich dennoch entgegen. Auch wenn einige Schalker auf eigenartige - und, man muss es so deutlich sagen, wenig geschichtsbewusste - Weise versuchen, den Wert des Spiels herunterzureden (Miron Muslic: "Die Schalke-Fans haben mir aber gesagt, dass es ein Nachbarschaftsduell ist. Derbys spielen wir gegen die Mannschaften, die sich am Montagabend im Pokal gegenüberstanden"; (gemeint sind Rot-Weiss Essen und der BVB, Anmerk. d. Red.), freut sich die überwiegende Mehrheit natürlich dennoch auf das Derby. In Bochum erinnern sich die älteren, abergläubisch angehauchten Fans allerdings ein wenig sorgenvoll an den 27. April 2007 zurück, als die Schalker damals ganz in Weiß in Bochum aufliefen. Doch sie schwelgen natürlich auch in anderen Erinnerungen.

So wie in dieser reviertypischen Geschichte von Klaus und Claudia. Der glühende VfL-Fan Klaus feierte damals am 9. Mai 1981 auf Schalke seinen Junggesellenabschied. Es war der Tag, als der VfL Bochum mit einem 6:0-Auswärtssieg wieder nach Hause fuhr. Am nächsten Morgen sagte Klaus zu seiner (späteren) Frau: "Claudia, wir brauchen gar nicht mehr heiraten. Das war gestern schon der schönste Tag meines Lebens."
Die Schalker mussten damals am Ende der Saison den bitteren Gang in die zweite Liga antreten. Nun, 44 Jahre später, findet am heutigen Samstag das erste Aufeinandertreffen der beiden Nachbarn aus dem Ruhrgebiet auf diesem Liganiveau statt. Der ruhmreiche Glanz vergangener Zeiten wird traurig über dieses Revierderby strahlen - und auf eine bessere Zukunft für beide Klubs hoffen. Vielleicht ja irgendwann wieder gemeinsam in der ersten Liga. Nicht nur Thomas Reis würde das sicherlich freuen.
Quelle: ntv.de
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